1869 // was geschah wirklich am 18. Dezember im Saal des Hôtel de Saxe?
Rauschende Klänge und zersprungenes Glas.
Weiterlesen … 1869 // was geschah wirklich am 18. Dezember im Saal des Hôtel de Saxe?Die Stimmgabel wurde bereits im Jahr 1711 von dem Lautenisten und Trompeter John Shore erfunden. Durch sie konnte nun ein Stimmton gleichbleibend angegeben werden. Wie hoch dieser Ton aber sein sollte, darüber gab es in Europa im Lauf der nächsten 150 Jahre sehr unterschiedliche Auffassungen.
In Dresden wurde 1754 die von Silbermann erbaute Orgel der katholischen Hofkirche auf 415 Hz gestimmt. In dieser Kirche spielten die Musiker der königlichen Kapelle regelmäßig ihre Messdienste – ihre Instrumente waren daher in Bau und Stimmung der Tonhöhe der Orgel angepasst. Bei den Theater-Konzertdiensten benutzte die Kapelle zum Teil andere Instrumente. Wie in anderen Orchestern stieg auch hier die Stimmung kontinuierlich an, da man sich davon einen brillanteren Ton versprach.
Die Stimmgabel von Carl Maria von Weber gab zu Beginn des 19. Jahrhunderts 423, 2 Hz an. Bei der ersten Aufführung der „Hugenotten“ von Meyerbeer 1838 an der Dresdener Oper lag das a‘ bei 434 Hz (was die Vesperglocke im dritten Akt dieser Oper bewies) und 1850 bereits bei 441 Hz.
In Wien stieg die Stimmung des Orchesters des Kärntnertortheaters sogar auf 466 Hz! Dabei kam es zu großen Tonhöhen-Unterschieden, die ihre Probleme mit sich brachten:
Sänger wollten an Opernhäusern mit extrem hoher Stimmung nicht mehr auftreten, aber auch Bläser-Solisten hatten ihre liebe Not, wenn sie mit Orchestern in extrem anderer Stimmung konzertieren sollten, für die ihre Instrumente nicht gebaut waren.
In Paris versuchte man bereits 1859 die Stimmhöhe zu vereinheitlichen wie auch zu senken und ließ eine Stimmgabel (Diapason normal) mit 870 Schwingungen anfertigen, deren Tonhöhe an allen Theatern, Schulen, Konservatorien und bei allen Konzerten bindend übernommen werden musste.
Carl Näke, der bedeutendste Gesangslehrer seiner Zeit, beabsichtigte eine Vereinheitlichung auch im deutschen Sprachraum und berief 1862 eine Versammlung nach Dresden ein, bei der viele der einflussreichsten Kapellmeister sowie Konzertmeister und Instrumentenmacher zugegen waren.
Die königliche Kapelle besaß diese Besonderheit, in zwei Stimmungen musizieren zu können: in der Oper und bei Konzerten in der hohen, in der katholischen Hofkirche in der tiefen. So war es möglich, bei der Versammlung in mehreren Aufführungen u.a. die Wirkung unterschiedlicher Stimmungen bei zwei Mozart-Opern zu erproben: eine in der Originaltonhöhe zu Mozarts Zeit, 424 Hz, die andere in der 1862 in der königlichen Kapelle üblichen Theaterstimmung von 443 Hz.
„sonore Fülle, kernige Kraft und Noblesse des Klanges im Orchester; natürliche Leichtigkeit der Tongebung, sichere Ausführung. Wahrer Wohlklang und Ausdrucksfähigkeit im Gesange“, doch weckte es auch Bedenken: „Freilich vermisste unser Ohr das Glänzende, Brillante der hohen Stimmung. Am schlimmsten trifft dies die Violinen, welche jedoch, sollte die tiefe Stimmung eingeführt werden, durch stärkeren Bezug manches werden ersetzen können.“ Deutsche Musik-Zeitung, 3. Jg, Nr. 3, 18.01.1862, S. 23-24
Die tiefe Stimmung von 424 Hz schien dann aber doch am wenigsten praktikabel für das „moderne“ Repertoire. Man wollte allgemein die Pariser Stimmung annehmen und einigte sich so auf 437 Hz für den Kammerton. Otto von Könneritz, der Generaldirektor der königlichen Kapelle und der Hoftheater, gab bei Carl Näke ein Protokoll in Auftrag, das an alle Teilnehmer verschickt wurde:
„Ueber Orchesterstimmung: den deutschen Kapellmeistern bei ihrer Versammlung in Dresden, den 28. September, 1862.“ Und beigelegt war der Schrift - eine Stimmgabel!
Doch den Worten folgten nicht gleich auch überall Taten – so war die Umstellung auf die tiefere Stimmung mitunter eine teure Angelegenheit: In Leipzig beklagte man noch 1874, dass 3.000 Thaler zur Anschaffung neuer Instrumente gebraucht würden, bis 1875 die neue Stimmung eingeführt wurde!
Und nach allseits bekräftigter Einigung stieg der eingeführte Stimmton natürlich auch wieder da und dort...
Heute sind die Verschiedenheiten aber nur mehr gering - die Globalisierung hat wohl auch bei der Orchesterstimmung Einzug gehalten.
Rauschende Klänge und zersprungenes Glas.
Weiterlesen … 1869 // was geschah wirklich am 18. Dezember im Saal des Hôtel de Saxe?Wie deutsche Kapellmeister am 28. September in Dresden über die Orchesterstimmung beraten.
Weiterlesen … 1862 // Die Kapellmeisterversammlung
Der Kino-Tonfilm mit der Staatskapelle unter Fritz Busch von 1932
Weiterlesen … 1932 // Kino-Tonfilm