Salome 1905

Die angekündigte Sensation

http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/90055572
SLUB Dresden / Deutsche Fotothek / DDZ, 2014.02

Die Oper „Salome“ von Richard Strauss war schon vor ihrer Uraufführung am Dresdner Königlichen Opernhaus eine Sensation: Auch Gustav Mahler hatte sich um die Aufführung des Werkes an der Wiener Hofoper bemüht, doch die strenge Zensur ließ dies wegen des skandalösen Stoffes der Dichtung von Oscar Wilde nicht zu. So wurde Dresden Schauplatz einer Opern-Sensation, die nicht nur in ihrem Inhalt begründet war, sondern ebenso im Ausmaß der Besetzung und im hohen Anspruch an ihre musikalische Umsetzung. Das große Ereignis der Uraufführung warf daher große Schatten voraus: Zehn Wochen lang konnten nur leichte Spielopern in der Semperoper besucht werden, da nahezu das gesamte Opernpersonal mit den Vorbereitungen zur „Salome“ beschäftigt war: Es wurde täglich von zehn Uhr vormittags bis halb drei Uhr nachmittags geprobt – mit einem Orchester von über hundert Musikern, das umfangreichste, welches hier je eine Oper gespielt hatte: Dafür musste der Orchestergraben verbreitert werden, wofür sogar zwei Sitzreihen im Zuschauerraum entfernt wurden.

Sehnert 1911, S. 68

Die außergewöhnliche Orchesterbesetzung wurde in der Wiener „Neuen Freien Presse“ detailliert geschildert: „16 erste und zweite Violinen, 12 Bratschen, 10 Celli, 8 Bässe, drei große und eine kleine Flöte, 2 Oboen, englisch Horn und das neue Heckelphon, das die Oboengruppe nach der Tiefe vervollständigt, eine Es-Klarinette, 2 A-Klarinetten, 2 B-Klarinetten, eine Baßklarinette in B, 3 Fagotte und das Kontrafagott, 6 Hörner, 4 Trompeten, 4 Posaunen und die Tuba, 4 Pauken und eine kleine Pauke, Tamtam, Becken, große und kleine Trommel, Tambourin, Triangel, Xylophon, Kastagnetten, Glockenspiel, 2 Harfen, die Celesta (ein Stahlplattenklavier, das in dem modernen Orchesterapparat eine große Rolle zu spielen beginnt), Harmonium und Orgel“ – aufsehenerregend war also auch die Verwendung von Instrumenten, die noch nie im Orchestergraben zu sehen waren, wie das Heckelphon, das nur ein Jahr zuvor von der Fagottbaufirma Wilhelm Heckel in Wiesbaden-Biebrich erstmals angefertigt worden war: „Hoffentlich finden sich Komponisten, die das Heckelphon in ihren Werken anzuwenden wissen, damit es nicht lautlos wieder verschwindet und einst als kurioses Musikinstrument des 20. Jahrhunderts irgend ein Museum ziert.“, meinte Emil Sehnert, Kgl. Sächs. Kammermusikus und Heckelphonbläser der Kgl. Sächs. Musik. Kapelle (Sehnert, S. 75). Der Erfolg der Oper „Salome“ war sicher maßgeblich daran beteiligt, dass das Heckelphon bis heute fixer Bestandteil des Orchesterinstrumentariums geblieben ist – wie auch die Celesta.

Ein neues Ruhmesblatt in der Geschichte der Kapelle

Richard Strauss verlangte dem Orchester spieltechnisch bravouröse Leistungen ab, wie nie zuvor: „…- to require, for example, his violas and ´cellos to play parts immemorially delegated to the violins; to make his double-basses cavort with the agility and the abandon of clarinets, to write unheard-of and nerve-destroying figures for the kettle-drums, and to demand of the trombonist that he transform his instrument into a flute: yet Strauss, on almost every page of his score, makes some such demand upon his executants.” – las man sogar in jenseits des großen Teiches in The North American Review (Gilman, S. 184).

Und der Premierenkritiker der Dresdner Nachrichten meinte: „Was diese physisch und geistig zu leisten haben, überbietet alles, was bisher an Technik und Intelligenz den Instrumentalisten zugemutet worden ist.“ Auch die Neue Zeitschrift für Musik zollte der Kapelle Respekt: „Die Aufführung bildet ein neues Ruhmesblatt in der Geschichte der Dresdner Hofoper. Die Palme gebührt der Königl. Kapelle, die spielend in des Wortes vollster Bedeutung die ungeheuren Schwierigkeiten bewältigte.“

Der Dirigent - Ernst von Schuch

Lewinger Max - Schuch und Musiker 1902
Ernst von Schuch; SLUB Dresden / Deutsche Fotothek / DDZ, 2012.09

Ein wesentlicher Faktor, der zu diesem Erfolg führte, war der der Dirigent Ernst von Schuch, der bereits seit 1872 als Hofkapellmeister das Orchester leitete und somit ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis bestand, das Seltenheitswert besaß. Der Dirigent und Komponist Arno Kleffel zeigte sich darüber begeistert:

„Was die Aufführung selbst betrifft, so gestehe ich, daß ich sie zumal als Uraufführung eines der denkbar schwierigsten Werke zu den größten Bühnenereignissen meines Lebens zähle, und ich glaube nicht, daß je ein Opernkapellmeister mit größerem Geschick und kunstgeübterem Blick all die unzähligen Feinheiten in den zum Teil tief verschlungenen Fäden der Partitur entdecken wird, um sie mit ebenso kunstgeübter Hand zum Erklingen zu bringen, wie Ernst v. Schuch. Die Art, wie er den einzelnen Stimmen überall, wo es die Situation gebot, individuelle Freiheit gestattete und doch das Ganze in so festgeschlossener Einheit zu halten wußte, daß auch nicht ein einziges Mal die leiseste Schwankung zutage trat, war bewunderungswürdig.“

Der Konzertmeister - Max Lewinger

http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/90029683
Max Lewinger; SLUB Dresden / Deutsche Fotothek DDZ, 2012.09

Aber noch ein Mann im Orchestergraben wurde in der Kritik lobend erwähnt: Max Lewinger, der seit 1899 erster Konzertmeister der Kapelle war. Warum damals dem Konzertmeister eine Bedeutung zukam, die über die eines heutigen noch hinausging, verdeutlicht eine Skizze der Orchesteraufstellung zur Salome 1905 (siehe unten): Der Dirigent war in der Mitte des Orchesters positioniert, damit ihn die Sänger noch gut sehen konnten - auf den Dirigenten gerichtete Scheinwerfer gab es ja noch keine. Das bedeutete also, dass alle zweiten Violinen und Bratschen, die Hälfte der ersten Violinen und nahezu alle Bläser Ernst von Schuch nur von hinten sehen konnten – sie alle mussten sich nötigenfalls am Konzertmeister orientieren. Was auf dem Foto neben der Skizze noch auffällt ist, dass  es offenbar auch keine Beleuchtung für das Dirigentenpult gab, die vermutlich störend für die Zuschauer gewesen wäre – gut zu sehen sind jedoch die trichterförmigen Musiker-Pultlampen mit Öl- oder Petroleumbehältern.

D'Harcourt, S. 252
https://www.rundfunkschaetze.de/19xx-19xx-dresdner-opernchronik/
Probe zur "Salome" 1905; Privatsammlung Dr. Günter Meyer

Noch nie gehörte Klänge – am Beispiel der Kontrabässe

Diese Fotografie entstand vermutlich in einer Probenpause, wie an den nur drei anwesenden Musikern und den zur Bühnenwand gedrehten acht (!). Kontrabässen ersichtlich ist. Am dritten Bass von links kann man übrigens auch die an der Schnecke montierte C-Mechanik gut erkennen. In der „Salome“ wird ja besonders die Tiefe dieses Instrumentes ausgelotet, die über das Gehör hinaus das vegetative Nervensystem der Zuhörer ansprechen sollte:

„In „Salome (1905) und „Elektra“ (1906) hatte die Kontrabaßpolyphonie die Grenzen der Aufnahmemöglichkeit des menschlichen Ohres bei weitem überschritten. Eine Zusammenballung sich gegenseitig schlagender Kontratöne von der Art, wie sie den Blick in die Zisterne hörbar machen soll (Salome: „Wie schwarz es da drunten ist!“), mußte namentlich die bis zur fünffachen Teilung erweiterte Kontrabaßstimme als harmonisierte Geräuschkulisse auffassen, die lediglich von den beiden Oberstimmen durchbrochen wird.“ (Planyavsky, S. 563) Eindrucksvoll beschreibt auch Hermann Starcke, Kritiker der Dresdner Nachrichten, sein Hörerlebnis: „Und dann die Gegensätze, die Tonmalereien des Schaudervollen. So hört man, um auch hiervon einige Bespiele anzuführen, wenn Salome an der Zisterne lauscht, während Johannes enthauptet wird, durch einige dreißig Takte hindurch die Kontrabässe allein, ganz leise zitternd, im tiefen Es rollen – ein Tongemälde gräßlichen Schweigens -, dann erklingt darüber, erst vereinzelt, später regelmäßig in halben Takten und kurzen Tönen die leere Quinte wie das Glucksen und Gurgeln stoßweise hervorquellenden Blutes, wie das letzte Röcheln eines Sterbenden.“

Reaktionen auf das neue Klangerlebnis

Der Kritiker Felix Adler berichtete im Pester Lloyd von der Reaktion des Generalproben-Publikums – und der der Musiker: „Nachdem der Vorhang gefallen war, rührte sich kein Zeichen des Beifalls oder des Mißfallens. Generalpause. Dann aber stürzte man hinaus an die frische Luft. Die Musiker waren außer sich vor Begeisterung und Entzücken.“

Wilhelm Kienzl meinte: "Die orchestralen Orgien, die Strauß in der „Salome“ feiert, können nicht mehr überboten werden. Man erliegt einer mächtigen Hypnose, aus der man erst am Ende des Werkes erwacht.“ (Kienzl, S. 1068)

Das Premierenpublikum reagierte laut Dresdner Nachrichten mit Enthusiasmus: „Am Schlusse der Vorstellung brach das Publikum in enthusiastische Beifallsbezeugungen aus, die wohl eine Viertelstunde lang anhielten und die Solisten, Strauß und v. Schuch dutzend Male vor die Rampe riefen.“

Es war allen Kritikern klar, dass dieses Musikdrama ein Meilenstein in der Geschichte der Dresdner Oper war:

„Eine Sensation von ähnlicher Bedeutung hat unsere Hofoper seit Wagners letzten Werken nicht gehabt. Wer in Sachen der modernsten Musik und höchster künstlerischer Leistungsfähigkeit mitreden will, wird sie sehen und hören müssen.“

Der Einzige, der sich von der „Salome“ gänzlich unbeeindruckt zeigte, war ihr Komponist – der meinte in einem Interview bei einer Probe zwei Tage vor der Premiere:

„Lang bleib‘ ich nicht, der Schuch macht’s schon von selber. Dann gehe ich hinüber in die Galerie, die ist mir lieber wie die ganze Musik.“

Literatur

Eugene D’Harcourt, La musique actuelle en Allemagne et Autriche-Hongrie, Paris 1908, S. 246, 249, 251, 255.

Lawrence Gilman, Richard Strauss’s “Salome”, in: The North American Review, Jan. 18, 1907, Vol. 184, No. 607, S. 180-185.

Wilhelm Kienzl, Richard Strauß‘ „Salome“, in: Das Blaubuch, Wochenschrift für öffentliches Leben, Literatur und Kunst, 1. Jg. Nr. 27, 12. Juli 1906, S. 1065-1071.

Arno Kleffel, Salome, in: Allgemeine Musik-Zeitung, 32. Jg., No. 50, 15.12.1906, S. 839.

Franzpeter Messmer, Richard Strauss, Biographie eines Klangzauberers, Zürich/St. Gallen 1994, S. 319-321.

Alfred Planyavsky, Geschichte des Kontrabasses, Tutzing 1984, S. 563.

Emil Sehnert, Das Heckelphon, in: Emil Teuchert und E. W. Haupt, Instrumentenkunde in Wort und Bild, 2. Teil, Leipzig 1911, S. 68-75.

Herzlichen Dank an die EDITION STAATSKAPELLE DRESDEN und ihren Projektleiter Dr. Steffen Lieberwirth für die Zurverfügungstellung des Fotos.

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