Hörstation

Der spezifische Klang eines Orchesters ist das Resultat eines diffizilen Zusammenwirkens akustischer Phänomene. Neben den baulichen Eigenschaften des verwendeten Instrumentariums sowie den allgemeinen Gesetzen der instrumentenspezifischen Klangentstehung sind es viele weitere Faktoren, die einen entscheidenden Einfluss auf die Klangentfaltung haben. Doch welche Wirkung hat zudem die kollektive (chorische) Tonerzeugung oder die dynamische Organisation innerhalb der Stimmgruppen? Und wie sehr prägen Deklamation, Spiel- und Hörerfahrung die Produktion und Wiedererkennung eines charakteristischen Klangbildes?

Zur Beantwortung dieser und weiterer Fragen bietet die Hörstation einige Zugangswege.

Der Frage nach der Dependenz von musikalischem Ausdruck und unverkennbarer Klangentfaltung widmet sich die Untersuchung zur Agogik der Staatskapelle Dresden. Letztendlich sind Sie eingeladen, sich im Selbsttest (Blind Taster) demnächst einer auditiven Blindverkostung zu unterziehen und sich dabei zu fragen: höre ich Dresdnerisch?


Umfrage

Thielemann_Kapelle_13.09.2016 © M.Creutziger

"Die Sächsische Staatskapelle Dresden, das wohl beste Orchester der Welt, mit seinem tiefgründigen Klang und seiner totalen Transparenz selbst in den lautesten Passagen." (you-Tube-User)

Hörerfahrungen sind subjektiv. Was sind Ihre persönlichen Eindrücke zum Klang der Staatskapelle Dresden?

Ihre Antworten sind für unsere Forschungsarbeit relevant, daher haben wir eine Umfrage erstellt, an der Sie sich gerne beteiligen dürfen.
Bitte nehmen Sie sich einen Moment Zeit und tauchen Sie selbst ein in den Klang dieses Traditionsorchesters.

Die Erfassung des Instrumentariums macht einen weiteren Teil unserer Forschung aus.

Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts, mancherorts auch noch später, waren die Orchester im Instrumenten- wie Musikerbestand oftmals von einheimischen Verhältnissen bestimmt. Nur in dieser Einheit (aber) konnten sich regionale Klangstile voll entfalten, was in Dresden der Fall war.“

Zu den Faktoren, die den Klang eines Orchesters beeinflussen, gehört das von den Kapellmitgliedern benutzte Instrumentarium.

Blind Taster

Die erfolgreiche Zuordnung eines Orchesterklanges hängt signifikant von der Spiel- und Hörerfahrung des Probanden ab. So erzielen beispielsweise professionelle Musiker in der Tat überproportional gute Ergebnisse, wenn ihr eigenes Instrument im Fokus der Hörprobe steht. Wenn aber diese Distinktionsfähigkeit vor allem durch die musikalische Vorbildung determiniert ist, dann drängt sich fast zwangsläufig die Frage auf: Lässt sich das auditive Erkennen eines tradierten Orchesterklanges wie dem der Staatskapelle Dresden gezielt trainieren? Ist es möglich, „Dresdnerisch hören“ zu lernen?

Es ist eben dies der Ausgangspunkt für die Überlegung gewesen, das „Blindverkostungsprinzip“ in eine regelmäßige, iterative Übung umzufunktionieren. Zu diesem Zweck haben wir für die projektinterne Nutzung die Gehörbildungs-App Blind Taster entwickelt. Das Programm generiert automatisch Mulitple-Choice-Hörtests, die stets die folgende Form besitzen: „Einer von drei kurzen Klangausschnitten entstammt einer Tonaufnahme der Staatskapelle Dresden. Welcher?“

Mit eigenen Ohren lassen sich auf diese Weise Klangzuschreibungen und eigene Hypothesen verifizieren oder falsifizieren, lassen sich jenseits von reiner Intuition (neue) Hörstrategien entwickeln, lassen sich letztlich Fortschritte messen, um sich dem Klang der Staatskapelle Dresden nicht nur theoretisch, sondern gleichsam durch die eigene, unmittelbare Sinneswahrnehmung zu nähern.

Agogik

„Das Ausspielen - ich will nicht sagen das Überdehnen - aber das ,solange es irgendwie möglich ist‘ im Rhythmus, die Verzierungen und die kleinen Sachen genießen… Ich glaube, das macht es aus.“  

(Stephan Drechsel, 2. Violine)

Durch computergestützte Analysemethoden wird die Agogik von Klangaufnahmen auch im Mikrobereich messbar und visualisierbar; dabei ergeben sich – zumal im Vergleich mit Interpretationen anderer Orchester – bei einzelnen Werken erstaunliche Konstanten auch über Jahrzehnte hinweg. Zu überlegen ist, ob solche Beobachtungen, exemplarisch an Richard Strauss‘ Tondichtungen vorgenommen, möglicherweise die These einer authentischen, auf den Komponisten selbst zurückzuführenden Aufführungstradition zulassen.